Alle feiern den Golf! Na klar, schließlich ist es aktuell rund 50 Jahre her, dass der Erfolgstyp das Licht der Straße erblickte. Unser Autor Arild Eichbaum ging aber auf seine ganz spezielle Art und Weise an das Thema: Er folgte der Spur der Diaspora-Gölfe in der DDR.
Da staunt der Autor: Der Diesel von Gerrit Keine Frage, als vor 50 Jahren der Golf 1 mit Frontantrieb und Quermotor debütierte, fand er in der BRD jede Menge Käfer-überdrüssige Kunden. Das Traumauto einer ganzen Nation wurde der Wolfsburger aber ausgerechnet in der DDR, wie Gerrit und Michael schildern. Fotos: Oldtimerreporter.Eichbaum / Michael Gerstenkorn
Kleinen Schmunzler zum Anfang gefällig? Erich Honecker fragt Helmut Schmidt, ob er einen neuen VW bekommen könnte. Schmidt antwortet gönnerhaft: „Klar doch, geht seinen sozialistischen Gang.“ Darauf Honecker ganz erschrocken: „Nein, ich brauche ihn doch schon nächste Woche!“ Tatsächlich hätte der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED nicht lang warten müssen, denn die erste Tranche des Ende November 1977 zwischen der Volkswagenwerk AG und dem DDR-Handelsunternehmen VE AHB (Volkseigener Außenhandelsbetrieb) Transportmaschinen Export – Import abgeschlossenen Geschäfts kam bereits am 13. Januar 1978 in die DDR. Bezahlt wurden die insgesamt 10.000 DDR-Golf im L- und LS-Trimm durch Kompensationslieferungen von Großpressen, Erdöl, Scheinwerfern und der technischen Ausstattung des Wolfsburger Planetariums.
Hintergrund des als „Wandel durch Handel“ verstandenen Deals war einerseits der Versuch, durch die Westwagen internationales Flair vorwiegend in die Hauptstadt der DDR zu bringen und andererseits den drastischen Mangel an Neuwagen etwas zu beheben. Die Importe waren anders als die 1000 zur selben Zeit in Land geholten Volvo 244 DLS nicht für wohlhabendere Gesellschaftsschichten gedacht, erklärt Gerrit, der als Hobby DDR-Westautos sammelt und beruflich über sein Unternehmen Genex-Automobile mit Ostfahrzeugen handelt: „Mit Vorlage einer Viertakter-Bestellung beim staatlichen IFA-Autohandel war es nicht getan. Vielmehr nahm die DDR-Führung eine Vorauswahl der potenziellen Golf-Käufer vor, das waren primär Arbeiter in den VEB.“
Sonderangebot: Wegen schleppenden Absatzes setzte man die Preise 1978 deutlich herunter: So kostete der Benziner dann 19.000 statt 24.000 Mark - wie diese Originalrechnung belegt.
Die Auserwählten griffen erst nur zögerlich zu, die Preise von 24.000 Mark für den Zweitürer mit 50-PS-Benziner und 36.000 Mark für den viertürigen Diesel mit ebenfalls 50 PS sowie den 70-PS-Benziner waren der Arbeiterklasse vielfach schlicht zu hoch, zumal auch Sorgen bezüglich der Ersatzteilversorgung bestanden. „Die Erfahrung, dass Teile nur selten direkt und überall zur Verfügung standen, hatte viele vorsichtig gemacht. Doch für die VW wurde unter anderem ein Servicezentrum im Berliner Bruno-Bürgel-Weg errichtet, und nach höchstens zwei Wochen lag die Wunschkomponente zur Abholung bereit“, erinnert sich Michael, der vor dem Mauerfall privat mit den Wolfsburger Kompakten handelte. Die Scherzfrage, warum der Golf das beliebteste Auto in der DDR sei? - Weil er zur Inspektion immer nach Wolfsburg müsse! - entbehrt also jeglicher Grundlage. Vorteile brachte er ganz andere, strahlt Michael: „Toll war, dass man im Warteraum immer den einen oder anderen Musiker oder Schauspieler sehen konnte, denn auch die wollte die Obrigkeit mit Westwagen von der Ausreise abhalten.“ Der Promi-Treff konnte auch fern der Spree gelingen, da eigens für die neuen Golf-Fahrer verteilt auf die Bezirke der DDR insgesamt 16 Werkstätten vom VEB Imperhandel eingerichtet wurden. Zur Gewährleistung fachgerechten Kundendiensts stellte VW nicht nur Ausrüstung und Ersatzteile zur Verfügung, sondern schulte auch Mechaniker und Verkaufspersonal mit den Wolfsburger Produkten.
Exotik für Augen und Nase
Da eine VW-Halde absolut nicht in Frage kam, geschah 1978 etwas nie zuvor gekanntes: Die Preise wurden reduziert, sodass der Golf nur noch mit 19.000 bis 24.000 Mark zu Buche schlug. Den Lada 1500 gab es damals etwa für 24.000 Mark, den Trabant um 10.000 Mark. Dass der Golf nicht nur in der BRD, sondern auch in der DDR das beliebteste Auto war, stand außer Frage: „Mit dem VW warst du der König! Es fuhr sich gut, hatte mehr als zwei Takte und war weder durstig noch veraltet. Vor allem war der Golf ein besonderes Auto, mit dem man sich von der Masse abheben konnte.“ Das war nicht nur der modernen Form, sondern auch den markanten Lacktönen Manilagrün, Miamiblau, Malagarot, Dakotabeige oder Panamabraun geschuldet, deren Namen von der großen weiten Welt träumen ließen. Mit dem Golf kam auch anderweitig frischer Wind ins Land, erinnert sich Gerrit: „Als Kind habe ich mir jedesmal den Verursacher angesehen, wenn ich Dieselabgase roch. Das war völlig neu für mich, Selbstzünder-Pkw gab es in der DDR ja bis dahin nicht. Zur Spritversorgung erhielten die Besitzer der Dieselgölfe eine Sondergenehmigung und mussten immer in der Schmuddelecke bei den Lkw tanken. Pkw-Dieselsäulen führte Minol nicht extra ein, die gab es nur an der Interzonen-Autobahn für Westbesuch.“
Wendezeit: Die ersten GTI zogen offiziel in der DDR ein.
Golf mit Gold aufgewogen
Neid der Besitzlosen war natürlich da, konstatieren unsere Gesprächspartner: So wie der Volksmund den Fahrern der in Berlin zugelassenen Volvos aufgrund ihres IBM-Kennzeichens „Ich bin Millionär“ zuschrieb, wurde das IBN-Kennzeichen der Golfer in „Ich bin neureich“ aufgeschlüsselt. Das war nicht einmal weit hergeholt, denn der aufgrund des Pkw-Mangels wurden für einen sofort erhältlichen Gebrauchtwagen bekanntermaßen höhere Preise als für einen Neuwagen aufgerufen, doch dafür entfielen die mindestens zehn Jahre Wartezeit auf Zuteilung eines solchen.
Der Hype um den Golf führte aber zu Exzessen: „Rasch wechselten gebrauchte Exemplare auch mit Rost für 40.000, bald 60.000 und später selbst für 100.000 Märker den Besitzer. Die Preise hatten sich hochgeschaukelt, auch die zusätzlich über Genex bezogenen Westwagen konnten genauso wenig wie die wegen Zollvergehen beschlagnahmten und über das staatliche Vermittlungskontor DAZ veräußerten Modelle die ungeheure Nachfrage nie decken. Freilich waren die geforderten Summen gewaltig, aber Angespartes hatten etliche Leute ja. Wer fleißig war, konnte in der DDR ungeachtet der niedrigen Löhne durchaus zu viel Geld kommen, sei es als Feierabend-Handwerker oder als Selbständiger“, weiß Michael. „So etwa ein Bäckermeister, der mir einen Golf II abkaufen wollte, den ich wenige Stunden zuvor für 95.000 Mark eigentlich mir selbst spendiert hatte. Obwohl ich 30 Riesen draufschlug, behielt ich den Wagen nicht.“ Wem es an so genannten „blauen Fliesen“ - der gefragte 100-DM-Schein - oder reichlich blauen Karl-Marx-Konterfeis - der DDR-Hunderter - mangelte, der versuchte sein Glück anderweitig: „Ich habe noch eine Tauschannonce in der Tageszeitung ,Neue Zeit‘ vor Augen: Tausche Wochenendgrundstück in Köpenick gegen Golf. Das Land wäre heute ein Vermögen wert.“
Warum soll es damals anders gewesen sein, als heute? Der Auto-Nachwuchs traf sich mit seinen "Schätzchen" und Schätzchen schon damals an den gängigen Hotspots.
Werte und Wertschätzung
„Den hohen Wert eines Westautos versuchten viele Besitzer zu bewahren“, erklärt Gerrit. „Beispielsweise ist mein mit Samthandschuhen angefasster, unrestaurierter Erstlack-Golf trotz 94.000 km auf dem Tacho vom Zustand her auf Auslieferungsniveau.“ Wer leichter an Neuwagen kam, nahm es bisweilen nicht so genau mit der Pflege, kontert Michael: „Der von der beliebten Kabarettistin und Schauspielerin Helga Hahnemann, der irgendwann zu mir gefunden hatte, war übel durchgefault! Rund 50 Golf habe ich in meiner Nebentätigkeit vermarktet, da bist du früh zum Automarkt, hast einen Golf verkauft und am Nachmittag 10.000 Mark Gewinn nach Hause gefahren.“
Die Westwagenszene war untereinander gut vernetzt, fährt Michael fort: „Man kannte sich, half mal mit Teilen aus, mal mit Tipps. Die konnten sich auf Gebrauchtexemplare wie auch auf Individualisierungskomponenten beziehen, sei es von Westverwandten mitgebrachter Satz Aluräder, die GTI-Zusatzinstrumente oder einheimisches Zubehör.“ Und diesbezüglich ging mehr als die üblichen Schonbezüge und Nebelscheinwerfer: „Im Bereich Berlin-Köpenick etwa fertigte Plaste-Schulz auf eigene Rechnung Spoiler, Lufthutzen sowie Stoßstangenüberzieher aus Gummi. Letztere wurden einfach über die Chromelemente geschoben, was meiner Meinung nach ziemlich daneben aussah, aber egal: Hauptsache topmodern und nicht von der Stange!“ Darin waren sich die Kraftwagen-Connaisseure in Ost und West einig. Und nach dem Mauerfall? Da kamen GTI-Instrumente reihenweise mitsamt dem zugehörigen Fahrzeug genauso wie die heiß ersehnten Golf-Neuwagen.