Zum 50-jährigen Granada-Jubiläum bat Ford zur Testfahrt, und die ließen wir uns nicht entgehen. Wir genossen den Kölner Klassiker mit dem 90-PS-V6.
Fotos: Oldtimerreporter.Eichbaum
Nein, für den Ford Granada-Fahrbericht hatten wir weder einen edlen GXL noch einen kraftvollen 3,0-l-V6 – und schon gar keinen V8-Umbau wie in „Absolute Giganten“. Macht nichts, der jüngst von Ford Classic auf Vordermann gebrachte 1976er Granada L hielt Freude im Übermaß parat. Zum Beispiel mit dem traumhaft spießbürgerlichen Exterieur: Die Lackierung in Saharabeige und das braune Kunstlederdach zeichnen eine biedere Jägerzaun-Idylle mit sicherer Distanz zu den schrillen Orange- und Grüntönen des Schlaghosen-und Kotletten-Jahrzehnts. Dass unsere bei 277 cm Radstand 457 cm lange, 179 cm breite und 141 cm hohe Ford Limousine statt Weißwandreifen und glänzenden Radkappen die teillackierten Stahlsportfelgen aufweist, akzentuiert den kernig-muskulösen Strich des von 1972 bis Mitte 1977 gefertigten Granada Mk1.
Als Nachfolger der hiesigen Ford-Modelle 17 M bis 26 M sowie der britischen Zephyr und Zodiac traten der Granada und sein spartanischer Bruder Consul betont stämmig auf, was der Vorliebe der britischen Formgestalter für US-Schwülstigkeit zugeschrieben werden mochte. Die wuchtige Optik der neuen Topmodelle verdeckte aber auch geschickt, dass die beiden Fords im Vergleich zu ihren Vorgängern 10 bis 15 cm an Länge und 6 cm an Höhe eingebüßt hatten – eine damals wie heute eher ungewöhnliche Vorgehensweise. Klaustrophobie kam dennoch nicht auf, Ford bescheinigte dem Granada Turnier 2190 l Laderaum. Das waren rund 300 l mehr als bei den 17 M- und 20 M-Kombis; unsere Limousine brillierte mit 720 l Kofferraumvolumen.
Als Plastik noch echtes Plastik war. Heutzutage ist es halt nur noch hübsch-hässlich.
Rein da und den Schlüssel gedreht! Vorbildlich springt der Ford Oldtimer sofort an und brummelt leise vor sich hin. Der Zwoliter-V6 stellte damals das gewisse Etwas dar, mit dem sich der Erstbesitzer von den durchgeschüttelten V4-Fahrern distanzierte. 90 PS waren schon seinerzeit nicht weltbewegend, aber nur bei Ford mit Sechszylinder-Ritterschlag erhältlich. Doch abseits des besseren Images zählte beim V6-Beschluss auch immer die Laufkultur, die den 1,7-l-Vierer alt aussehen lässt. Die 60°-OHV-Eintracht im Motorraum schiebt den 1,3-Tonnen-Wagen unangestrengt, aber eben nicht rasant nach vorn. Ein durchgetretenes Gaspedal sollte man sich im Granada besser sparen, das versaut das ganze Ambiente! Wer auf Gedeih und Verderb in 15 Sekunden von 0 auf 100 km/h sprinten will, nur zu – Freude bringt das indes gar keine. Anstelle der Geschwindigkeit legt primär der Geräuschpegel zu, die Ford Limousine ist absolut kein Fall für sportlich ambitionierte Herrenfahrer. Ab in einen flotten Capri oder Escort mit euch! Trödeln müssen wir beim Granada-Test trotzdem nicht, mit seinen strammen 149 Nm Drehmoment macht direkt Lust auf einen lockeren Ausflug auf baumgesäumten Landstraßen, ganz ohne Terminstress und Kurvenbretterei. Was nicht bedeutet, dass wir auf Geraden fixiert waren.
Ein schöner Rücken kann auch entzücken...zumindest täuscht die schwarze Blende ein klitzebisschen Sportlichkeit vor.
Denn mit der hoch angesehenen hinteren Einzelradaufhängung an Schräglenkern stellte der gehobene Mittelklasse-Ford nicht minder gehobenen Ehrgeiz klar, dem ebenfalls neuen Hauptkonkurrenten Opel Rekord D an den Karren zu fahren und sich in Nähe des ebenso frischen BMW 5er sowie des überarbeiteten Mercedes /8 zu bringen. Wie dem Stuttgarter liegt dem Granada nicht das wilde Herumflitzen, er lässt es primär wegen des zweifellos kommod ausgelegten Fahrwerks alles etwas ruhiger angehen lassen. Nur ins Umland oder gleich auf die tausendfach bewältigte Gastarbeiterroute? Egal, zunächst muss der Kölner den Düsseldorfer Stadtverkehr verlassen, hier kann die Viergang-Schaltung nicht auftrumpfen – im zähen Stop-and-go wäre eine Automatik schlichtweg willkommener gewesen. Der Wegfall des dritte Pedal zu rund 1000 DM kam dem Erstbesitzer garantiert viel zu teuer, sonst hätte er damals beim Ford Händler nicht jeden Pfennig dreimal umgedreht und sich mehr als den in Summe recht nüchternen Granada L gegönnt. Für Vinyldach, Radio, V6 und die beruhigende Sicherheit, mehr als das Basismodell zu fahren, reichte es. Für mehr nicht. Ohnehin war es ratsam, mehr als nur Wechselgeld im Portmonee zu behalten, denn mit geringem Durst machte der Granada nie von sich Reden: Rund 14 Liter Super rauschen durch den Doppelvergaser. Mit gerade mal einer Maß weniger auf 100 Kilometer erwies sich der behäbige und rappelige V4 aber als bestenfalls mäßig genügsamer, das mag einst tüchtig zum V6-Kauf angespornt zu haben.
Der Verzicht auf die Servolenkung stört nicht, mit dem großen Lenkrad und den 175er Reifen ist der Ford Oldtimer sich im fließenden Verkehr bestens zu dirigieren – und bei Parkmanövern genauso! Freilich ist reichlich am dünnen Kranz zu drehen, aber wir sind ja nicht aus Zucker. Die niedrige Fensterlinie verhilft zu gutem Überblick, der ferner der Modellpflege vom März 1975 zuzuschreiben ist: Nach Beanstandung der zu hoch gehaltenen Nase wurden der Granada vorn um 12 mm abgesenkt und die Vordersitze in gleichem Maße höher verbaut. Auch die nun tadellos ablesbar hinter einer großen Kunststoffscheibe statt wie zuvor in tiefen Löchern untergebrachten Instrumente umfasste das große Update; allein die unpraktisch nach unten in die Mittelkonsole gewanderte Uhr sorgt für Stirnrunzeln. Ansonsten wurde die geforderte Abkehr vom Barock erhört: Der Grill trägt schlichtes Schwarz, aufgepeppt vom Ford-Schriftzug, der von der Haube umzog. Bei unserem Testfahrzeug ist er aus unbekannten Gründen allerdings auch noch auf dem Motordeckel zu finden. Relevanter für die neue Sachlichkeit ist jedoch die Entfernung der verspielten Embleme.
Aufs Zweispeichen-Volant, dessen Biederkeit gewiss nie zu Herzrasen führte, ist das übrige Interieur penibel abgestimmt: Braunes Vinyl und zurückhaltende Stoffe erzeugen für anheimelnde Geborgenheit, die im feinen GXL oder im noblen Ghia von reichlich Holzfurnier gekrönt wurde. Bürgerlichkeit vor Avantgarde, gute Stube mit bequemen Sesseln statt modischer Möchtegern-Sportlichkeit. Und wozu brauchen die Fondpassagiere Kopfstützen, wenn sie doch eine Mittelarmlehne und zwei Ascher haben? Na also. Ellenbogen aus dem runtergekurbelten Fenster gehängt, lass doch andere nachts mit dem Dodge nach Chicago fahren, rheinische Landstraßen bei Kaiserwetter sind auch klasse. Es ist diese hemdsärmelige Gelassenheit, die nur ein großzügig bemessener Cruiser ohne brüllenden Auspuff, ohne bretthartes Fahrwerk, ohne zig Komfortfeatures und vor allem ohne Starallüren ausstrahlen kann. Jammerschade, dass solche Autos ab den 80er Jahren zunehmend ungefragt waren. Umso erfreulicher, dass ein Umdenken längst eingesetzt hat. Alles Gute, Granny!